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Prozess gegen Antifaschisten in Berlin„Sie wären verstorben“

Zwei Antifaschisten sollen in Berlin einem Neonazi aufgelauert haben, am Ende sind alle mit Messerstichen verletzt. Im Prozess zeigt sich, wie gefährlich das war.

Ein Blutspur zog sich durch Pankow Foto: Erik Irmer
Konrad Litschko

Aus Berlin

Konrad Litschko

Zum Prozessbeginn hatten die angeklagten Antifaschisten, Kolja B. und Konrad E., noch ausgesagt, seitdem aber schwiegen sie. Am Montag aber machen die beiden nochmal eine Ausnahme. Da wenden sie sich direkt an einen Polizisten, der im Prozess als Zeuge aussagte. Sie wollten sich bei ihm bedanken, dass er ihnen damals, am 18. April 2024, wohl das Leben rettete. Der Beamte nickt. „Bitte sehr.“ Für den 52-Jährigen war die Hilfe wohl eine Selbstverständlichkeit.

Tatsächlich wären die beiden Antifaschisten damals ohne die Hilfe des Polizisten wohl verblutet. Laut Anklage sollen die beiden mit einem bis heute flüchtigen Mitstreiter, in Berlin-Pankow den Aktivisten der Neonazi-Partei III. Weg, Leander S., im Hausflur von dessen Mietshaus aufgelauert und angegriffen haben. Dann zückte der Rechtsextreme ein Messer, wie er zu Prozessbeginn auch einräumte. Am Ende waren die beiden Antifaschisten mit Stichverletzungen schwer verletzt, ebenso aber auch Leander S.

Angeklagt in dem Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten sind jedoch nur die beiden Antifaschisten, wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Anklage wirft ihnen vor, das Messer mitgebracht und gegen Leander S. eingesetzt zu haben. Eine taz-Recherche hatte aber zuvor bereits nahegelegt, dass Leander S. es war, der zustach – was dieser letztlich auch gestand.

Die beiden Linken hatten zu Prozessbeginn erklärt, sie hätten Leander S. – nach einer Reihe von rechtsextremen Angriffen des III. Wegs auf Personen in ihrem Umfeld – eine Ansage machen wollen, dass er aufhören soll. Ein Messer hätten sie aber nicht dabei gehabt und auch ein mitgebrachter Hammer sollte nur Drohkulisse sein. Nach den erlittenen Messerstichen hatten sich Kolja B. und Konrad E. noch auf eine nahegelegene Brücke geflüchtet und waren dort zusammengebrochen.

Neonazi hat wohl wild um sich gestochen

Der Polizist, der in der Tatnacht dort als erster auf die beiden Linken traf, schilderte, wie ihn ein Radfahrer herangewunken habe. Er habe den Männern, die in ihrem Blut lagen, dann mehrere Druckverbände angelegt. Nur noch Konrad E. hätte seinen Namen sagen können, Kolja B. sei schon nicht mehr ansprechbar gewesen. „Wäre das ohne Beobachtung geschehen, wären die beiden wahrscheinlich verstorben“, so der Beamte.

Ein medizinischer Gutachter schilderte am Montag, wie schwer die Verletzungen waren. Kolja B. habe einen vier bis fünf Zentimeter tiefen Stich in die Brust erlitten, habe dort aus einem Muskel geblutet, die Lunge sei knapp verfehlt worden. Am Oberschenkel habe er einen 15 Zentimeter langen, tiefen Schnitt mit „gravierendem“ Blutverlust erlitten. Auch Konrad E. habe zwei Stichverletzungen am Oberschenkel davongetragen und einen Durchstich in der Hand. Der Neonazi Leander S. wiederum habe eine 12 Zentimeter lange Schnittverletzung am Unterschenkel erlitten, zudem eine Wunde am Hinterkopf und am Handrücken.

Die Antifaschisten hatten ausgesagt, sie könnten sich die Verletzung von Leander S. nur so erklären, dass dieser sich im Handgemenge selbst verletzt habe. Leander S. hatte eingeräumt, ob des Angriffs „wild“ um sich gestochen zu haben. Der Gutachter sagte, für eine Selbstverletzung läge die Wade „sehr weit unten“, aber es sei auch nicht auszuschließen.

Wolfram Nahrath, Anwalt des als Nebenkläger zugelassenen Leander S. und selbst Rechtsextremist, interessierte sich am Montag derweil vor allem für die Lebensläufe der Angeklagten und benannte vor Gericht deren Arbeitgeber, einen Sozialträger und eine Gedenkstätte. Der Sozialträger erklärte auf taz-Anfrage, ihm seien die Vorwürfe gegen ihren Mitarbeiter bis dahin nicht bekannt gewesen und sie hätten den Angeklagten mit sofortiger Wirkung freigestellt. Politische Neutralität und Gewaltfreiheit sei ein Grundprinzip ihrer Arbeit.

Den Prozess selbst verfolgten am Montag erneut Führungsfiguren des III. Wegs. Zugleich solidarisierten sich An­ti­fa­schis­t*in­nen mit einer Kundgebung vor dem Gericht mit den Angeklagten. Eigentlich sollte der Prozess bereits am Montag zu Ende gehen. Weil unter anderem noch eine weitere Zeugin gehört werden soll, verzögerte sich dies. Das Urteil soll nun am 12. Januar fallen.

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